Der NIO ET5 ist eine tolle Limousine, die zumindest bei Verarbeitung, Wertigkeit und Anmutung zeigt, dass NIO auf jeden Fall mit deutschen Premiumherstellern mithalten kann. Die Zielgruppe hat hier definitiv eine neue Option aus China.
Es gibt auch einige technische Feinheiten, die man sich durchaus gefallen lassen kann. Dazu gehört etwa, dass ihr im Auto mit den sogenannten Smart Actions ein paar Routinen festlegen könnt. Zum Beispiel: Ihr erreicht ein bestimmtes Gebiet, dann soll das Auto etwas machen – etwa die Musik leiser drehen, das Fenster öffnen und so weiter. Das ist erstmal eine Spielerei, die aber im Alltag durchaus nützlich sein kann. Das ist allerdings schon ein Punkt, der fast allein dasteht. Denn ansonsten hat NIO, abgesehen davon, dass man den Akku der Fahrzeuge wechseln kann – was ich in diesem Bericht hier schon beschrieben habe – kaum Besonderheiten zu bieten.
Hey Du, abonniere jetzt unseren WhatsApp-Newsletter-Kanal kostenlos!Ja, der ET5 ist eine tolle Limousine und ein tolles Elektroauto, aber es fehlt irgendwie an echten Alleinstellungsmerkmalen.
Sprachsteuerung mit Potenzial zur bevorzugten Steuerung der Fahrzeugfunktionen
Die Sprachsteuerung hat mit NOMI auf jeden Fall ein Gesicht – das ist ziemlich cool. NOMI an sich arbeitet auch relativ flott, hat aber im aktuellen Zustand auf jeden Fall noch sehr viel Luft nach oben. Ein negativer Punkt ist, dass ihr zum Beispiel das Hotword (Hey NOMI) sagt, dann aber vielleicht eine Sekunde warten müsst, bevor ihr euren Sprachbefehl einsprecht. Wenn ihr euer Hotword sagt und direkt euren Sprachbefehl anhängt, dann versteht NOMI meistens nur die Hälfte.

Wir haben mit NIO gesprochen und die haben uns bestätigt, dass eine neue Lösung unterwegs ist, die deutlich schneller reagieren kann. Aktuell, zum Zeitpunkt des Testberichts, ist das allerdings noch nicht der Fall – und das ist ein Nachteil der Sprachsteuerung, die ansonsten, eben weil sie dieses Gesicht hat, nämlich diesen kleinen Roboter auf dem Armaturenbrett, der sich sogar zur sprechenden Person dreht, durchaus Charme hat.
Im Alltag ist mir aufgefallen, dass die Software auf jeden Fall sehr gut entwickelt ist und sehr, sehr schnell reagiert. Das große Display in der Mitte arbeitet wie ein iPad von Apple oder ein Pixel von Google – es reagiert sofort und ohne Verzögerung. Wenn NOMI noch etwas flotter arbeiten würde, müsste man das Display allerdings kaum verwenden.

In der Ablage für das Smartphone laden Telefone von Xiaomi und anderen Herstellern drahtlos schnell, mein Xiaomi 15 wurde mit 30 Watt geladen:

Über den Menüaufbau und die Benutzerführung kann man sich streiten. Ich persönlich finde, die Übersicht ist gut, man kann die wichtigsten Dinge wie die Klimaanlage sofort und sehr schnell steuern. Man muss aber auch dazu sagen: Hier sind die Ansprüche sehr unterschiedlich. Das habe ich in einigen Gesprächen mitbekommen. Während ich in meinem Auto während der Fahrt eigentlich nichts ändere außer der Musiklautstärke, gibt es andere Autofahrer, die sich über verschachtelte Menüs aufregen und generell der Meinung sind, dass ein Touchscreen keine perfekte Lösung sei. Das ist ein Streitthema, das ich an dieser Stelle nicht weiter aufmachen möchte. Aus meiner Sicht ist das im NIO ET5 sehr gut gelöst.
Einige Funktionen lassen sich auch über die Lenkradtasten steuern. Dabei handelt es sich um echte physische Tasten, die angenehm zu bedienen sind und gut funktionieren.

Hinter dem Lenkrad befindet sich ein zweites Display. Dieses zeigt nicht nur die laufende Navigation an, sondern erkennt dank Lidar-Radar auch zuverlässig Fahrzeuge und Personen in der Umgebung. Die Erkennung ist sehr stark und die Software bleibt auch bei viel Verkehr stabil – es gibt kein Ruckeln oder andere Probleme.

Europa hinkt auch hier hinterher
Allerdings zeigt sich beim Fahren auf der Autobahn oder in anderen komplexeren Situationen, dass der NIO zwar viel alleine fahren kann – durch den Pilot Assist, der auf der Autobahn die Spur hält und selbstständig lenkt –, doch hier treten die bekannten Einschränkungen auf. Das System ist in Europa nicht auf dem gleichen Stand wie in China. Dort fahren die Fahrzeuge mit derselben Technik nahezu autonom durch jede Situation. In Europa hingegen gibt es selbst auf freier Autobahn Probleme, etwa beim Spurhalten, das nicht immer ruckelfrei funktioniert.
Das ist schade und zeigt, dass NIO hier keinen Vorteil gegenüber anderen Herstellern hat. Im Gegenteil: Systeme wie Travel Assist von VW sind auf dem europäischen Markt bereits sehr gut und bieten vergleichbare, wenn nicht sogar bessere Unterstützung. Ohne dass man auf dem Dach haufenweise zusätzliche Sensoren und Kameras findet.
Man kann also sagen, dass NIO die Technik, die im Auto steckt – und die der Kunde auch bezahlt –, noch nicht annähernd ausnutzt, jedenfalls hier in Europa. Das ist ein bisschen blöd, denn mit Batterie kostet das Auto schnell über 70.000 Euro. Da hat man schon die Erwartungshaltung, dass es mehr bietet als andere Hersteller – vor allem, wenn man sich die Anzahl der Sensoren und Kameras anschaut.
Zumindest kommen die Kameras immer dann zum Einsatz, wenn ihr abbiegt, rückwärts irgendwo rausfahrt oder einparkt. Das Auto kann auch selbstständig einparken – diese Funktionen sind vorhanden und funktionieren gut. Dafür sind die vielen Kameras definitiv nützlich. Es gibt außerdem ein System, das euer Auto im Parkmodus überwachen kann. Auch hier leisten die Kameras gute Arbeit, etwa wenn ein anderes Auto beim Ausparken euer Fahrzeug streift – das kann potenziell aufgezeichnet werden.
Über die Software gibt es verschiedene Fahrmodi. Das Fahrwerk war aus meiner Sicht eine sehr gelungene Mischung aus sportlicher Abstimmung und ausreichend Komfort. Der ET5 überträgt Unebenheiten auf buckligen Straßen deutlich weniger in den Rücken als manch anderes Fahrzeug. Die Fahrmodi lassen sich über das zentrale Display umfangreich anpassen. So kann man zum Beispiel den Komfortmodus nutzen und dennoch die maximale Beschleunigung aktivieren – beim ET5 sind das 0 auf 100 in 4 Sekunden.
Dass der ET5 gut nach vorne geht, liegt auf der Hand, wenn man sich die Leistungsdaten anschaut. Sicherlich gibt es Elektroautos, die die Power noch nahtloser freigeben, andere wiederum haben ähnliche Werte, fühlen sich aber weniger intensiv an. Dennoch macht es Spaß, zwischendurch in den Sportmodus zu schalten und das Fahrzeug entsprechend zu fahren. Der Allradantrieb mit so viel Leistung bringt allerdings einen Nachteil mit sich: Die Effizienz leidet.

Auf der Autobahn kommt man bei Temperaturen über 10 Grad rund 300 bis 350 Kilometer weit – das ist für einen Long-Range-Akku in dieser Größenordnung (100 kWh) und bei dieser Fahrzeugform meines Erachtens nur mittelmäßig. Zum Vergleich: Im Alltag fahren wir sonst einen Ioniq 5 mit 84 kWh Akku. Der gilt als SUV, ist größer, nicht so flach und nicht so windschnittig, fährt aber etwas effizienter. Hier hätte NIO definitiv noch mehr rausholen können.
Ein weiteres Problem ist das Schnellladen. Der aktuelle ET5 schafft nicht mehr als etwas über 140 kW – das ist angesichts der Akkugröße wenig. Man merkt hier deutlich: Der ET5 ist auf den Akkuwechsel ausgelegt. Der dauert im Idealfall 5 – 7 Minuten, kann sich aber verdoppeln oder verdreifachen, wenn andere Fahrzeuge vor einem in der Warteschlange stehen oder ein Akku gerade erst entnommen wird.

Ob das im Alltag praktikabel ist, muss jeder selbst entscheiden. Für mich persönlich fehlt ein richtiges Schnellladen. Ich bin vom Ioniq 5 gewohnt, dass man den Akku in unter 20 Minuten von fast leer auf fast voll bekommt – und dann auch entsprechend weit fahren kann. Das vermisse ich beim ET5.
NIO will mithalten und kann es theoretisch auch
Ich würde – was Materialien, Lautstärke im Fahrzeug, Sitze inklusive Massagefunktionen, den Sound der Anlage, die Power und die Optik betrifft – schon sagen, dass der ET5 auf jeden Fall ein Performance-Premium-Elektroauto ist, das mit deutschen Automarken durchaus mithalten kann.
In Gesprächen mit und bei NIO hat sich allerdings herauskristallisiert, dass einigen journalistischen Kollegen ein echtes Alleinstellungsmerkmal fehlt. Klar, der Batteriewechsel ist definitiv eines – aber für viele Kunden, zumindest in Deutschland und Europa, wird dieses Feature vermutlich auf absehbare Zeit wenig interessant sein. Dann stellt sich schon die Frage: Warum sollte ein Mercedes-, BMW- oder Audi-Fahrer auf einen NIO umsteigen, der im Zweifel genauso viel kostet oder sogar teurer ist?
Optik und Haptik haben auch im Innenraum gepasst:



Ein langfristiger Vorteil ist definitiv die Wechselbarkeit des Akkus. Man kauft heute ein Auto und kann vielleicht in sieben Jahren von einem neuen, besseren Akku profitieren – etwa, weil größere Akkus verfügbar sind. Wenn heute Akkus mit 100 Kilowattstunden angeboten werden, könnte in Zukunft ein 135-kWh-Akku bereitstehen, den man dann einfach wechseln lassen kann. Dafür bietet NIO die Akkumiete an – und damit auch volle Flexibilität auf lange Sicht.
Um auf den Punkt zu kommen: Der ET5 ist ein sportliches Premium-Elektroauto, das jedoch weder bei der Reichweite noch bei der Ladegeschwindigkeit wirklich punkten kann. Und genau das ist ein Nachteil gegenüber Fahrzeugen wie dem bereits erwähnten Hyundai Ioniq 5 oder diversen Tesla-Modellen. Betrachtet man das Auto von den Punkten der Elektromobilität losgelöst, ist es schlichtweg ein tolles Premium-Fahrzeug.