Huawei Mate 20 Pro im Test: Für das, was es sein soll

Kurz nachdem ich das Huawei P20 Pro im Mai erhalten habe, hat es mich jeden Tag begleitet. Bei so einem subjektiven Testbericht finde ich es immer wichtig zu wissen, was für ein Gerät der Tester gewohnt ist – die Messlatte war also bis dato ziemlich weit oben. Der chinesische Konzern tritt mit dem Mate 20 Pro vor allem gegen sich selbst an. Es ist sowohl ein Konkurrent zum bisherigen Flaggschiff P20 Pro als auch eine logische Weiterentwicklung der AI-Kamera. Ich habe mir mit dem Testbericht etwas mehr Zeit gelassen, um euch einen Einblick in den echten Alltag mit dem Huawei Mate 20 Pro zu geben.

Im Gegensatz zu einiger meiner Kollegen habe ich mich mal wieder überhaupt nicht vorbereitet saß ich komplett unvoreingenommen beim Launch der neuen Mate-20-Reihe. Ich habe versucht, mich den Leaks so gut es ging zu entziehen und dann von der sympathischen Präsentation durch CEO Richard Yu mitreißen zu lassen. Das hat auch ganz gut funktioniert, Huawei nimmt sich beim Mate 20 Pro natürlich die Kamera vor und macht sie noch ein Stück besser. Der Monochrom-Sensor weicht einem Weitwinkel und verspricht bessere Low-Light-Aufnahmen.

Rückkamera: 40 MP (Farbe), 20 MP (Farbe) und 8 MP (Farbe), Blende f1.8, f2.2 und f2.4, unterstützt Autofokus (Tiefen-, Phasen-, Kontrast- und Laserautofokus)
Frontkamera: 24 MP (Farbe), Blende f2.0

Huawei P20 Pro im Test: Platz da für den Kamera-König

Länger und breiter

Als Richard das Smartphone zum ersten Mal in der Hand hält und es nervös der gespannt wartenden Zuschauerschaft entgegenstreckt, habe ich zuerst gedacht, ich hätte einen Knick in der Optik. Das Mate 20 Pro wirkt nämlich deutlich länger als das P20 Pro – und das stimmt auch. In einem Seitenverhältnis von 19,5:9 statt 18,7:9 passen auf 6,39 Zoll Diagonale 3.120 x 1.440 Pixel. Die Notch ist größer und lässt weniger Platz für Benachrichtigungen, mir fällt sie dadurch stärker ins Auge. Ausgeblendet gefällt sie mir beim Mate 20 Pro am besten, die beschnittenen Benachrichtigungen nerven trotzdem.

Das resultiert allerdings in einer gestochen scharfen Darstellung und einer stark gewachsenen Pixeldichte auf 538 PPI, der Bildschirm des P20 Pro (408 PPI) war aber ohnehin schon brillant. Viel Luft nach oben ist hier also nicht, trotz einer größeren Notch nimmt der Bildschirm einen größeren Teil der Vorderseite ein.

Edge eckt an

Das ist der Edge zu „verdanken“, die die Bedienung meiner Meinung nach eher erschwert. Besonders im Verbund mit der neuen Gestensteuerung von Android 9.0 Pie, die noch nicht so wirklich zu Ende gedacht wurde. Viel zu häufig kollidiert sie zum Beispiel mit Hamburger-Menüs, die von der Seite hereingewischt werden oder anderen Stellen, an denen solche Gesten bereits vorgesehen sind. Nach einigen Wochen habe ich mich mehr oder weniger dran gewöhnt. EMUI an sich hat sich mit Android 9.0 Pie nicht wirklich verändert.

Ohne Hülle, ohne mich

Beim Mate 20 Pro hat es im Vergleich zum P20 Pro irgendwie noch länger gedauert, bis ich endlich umgezogen bin. Das abgerundete Display gibt dem Mate 20 Pro einen zierlicheren Look, daher hatte ich es ohne Hülle nicht im Alltag dabei. Die originale Silikonhülle schmiegt sich bestens ans Gerät an und schließt auch die wichtigen Lücken rund um die Kamera, die raue Oberfläche verheddert sich aber gerne in der Hosentasche. Für 15 Euro ein stilsicherer Griff, sie ist jedoch auch sehr fettanfällig.

Der HiSilicon Kirin 980 hat gegenüber dem Allroundchip aus dem Vorjahr, dem Kirin 970, ein bisschen mehr Power und soll dank der 7-nm-Fertigung noch weniger Strom verbrauchen. Mit moderater Benutzung komme ich auch ohne Ladung über Nacht zwei Tage durch, darauf lasse ich es jedoch eher selten ankommen. Geladen wird wie gewohnt über USB-C – oder erstmalig auch kabellos. Das entsprechende Zubehör kostet rund 50 Euro und lädt mit maximal 15 Watt an Stelle der 40 Watt, die via Kabel möglich sind.

Kabelloses Laden kommt jedoch nicht nur zum Einsatz, wenn du das Mate 20 Pro mit Strom versorgen willst. Eher interessantes Gimmick und ist nämlich das Feature, das andere Smartphones mit Qi-Support durch das neue Huawei-Flaggschiff aufladen lässt. Die Funktion muss natürlich erst eingeschaltet werden und funktionierte im ersten Test mit einem anderen Exemplar des Mate 20 Pro recht gut.

Chips neu gestapelt

Zurück zum Chip: Laut der Kollegen von Golem hat die CPU im Kirin 980 75 Prozent mehr Power und 58 Prozent mehr Effizienz, die GPU 46 Prozent mehr Leistung bei einer 187 Prozent höheren Effizienz. Das liegt unter anderem an der neuen Architektur. Die bewährte big.LITTLE-Bauweise mit vier dicken und vier schwächeren Kernen ist überholt und wurde durch einen Verbund aus zwei Cortex-A76- (2,6 GHz), zwei Cortex-A76- (1,92 GHz) und vier Cortex-A55-Cores (1,8 GHz) ersetzt.

Zusammen mit den 6 GB Arbeitsspeicher ist das Mate 20 Pro gefühlt responsiver und zuverlässiger, beim P20 Pro hatte ich zumindest noch anfangs mit den üblichen Android-Rucklern und gelegentlichen Aufhängern zu kämpfen. Gaming läuft mit einem Smartphone dieser Güteklasse natürlich erste Sahne, aber das könnt ihr euch sicher denken.

Das Kerngeschäft mit der Kamera

Die Kamera war mal wieder der Grund, warum ich diesen Testbericht so lange mit mir herumgeschleppt habe. Vorweg: Ja, die Kamera ist beeindruckend und eine der besten auf dem Smartphone-Markt, bis die nächste Generation später in diesem Jahr eintrudelt. Doch man muss auch bedenken: Smartphone-Fotos sind immer ein Kompromiss.

Und solange diese Smartphone-Fotos in ihrer Smartphone-Welt bleiben, mit Instagram-Filtern und in einem #bestnine-Grid, sehen sie auch grandios aus. Bei jedem Foto, das man sich dann später auf einem großen Bildschirm anschaut, denkt man auf den ersten: „Geil!“ und auf den zweiten eben: „…für das, was es sein soll.“

Zugegebenermaßen, wenn man etwas von Kameratechnik versteht und sich in den Pro-Modus hineinfuchst, kann man deutlich bessere Ergebnisse erzielen. Wenn man diese Kenntnisse hat, sollte man allerdings auch eine echte Kamera kaufen. Gleiches gilt für Fotobearbeitung mit Snapseed oder Lightroom Mobile, die inzwischen extrem fortgeschritten sind und Funktionen auf Desktop-Niveau bieten.

Jetzt aber mal ein bisschen mehr ins Detail. Das Kameralayout unterscheidet sich von dem auf dem P20 Pro auch mit Android 9.0 Pie nicht und ordnet neben der normalen Automatik und dem Videomodus durch Wischgesten gut erreichbar auch den Portrait-, Nacht- oder Pro-Modus an. Die erledigen ihren erwartbaren guten Job, mit ein bisschen AI-Magie, längeren Verschlusszeiten, mehreren Schnappschüssen, die übereinandergelegt werden, kommen wirklich gute Fotos dabei heraus.

Was mich nur ordentlich genervt hat, war der neue „Super-Makro-Modus“. Ich hatte einige Dispute darüber mit Kollegen, ob das Mate 20 Pro den Sensor wechseln würde, wenn ein Objekt besonders nah kommt. Die unumstößliche Wahrheit ist: Ja. In einem Augenblinzeln ändert sich der Blickwinkel und das häufig in Situationen, wenn man das gar nicht beabsichtigt hat.

Huawei Mate 20 Pro: Neues Update macht den Super-Makro-Modus manuell

Face Unlocker

Mit dem Mate 20 Pro habe ich mich erstmalig in meiner Smartphonekarriere auch mit einem Face-Scanner angefreundet, aber diese Freundschaft beäuge ich noch etwas skeptisch. Ja, es ist komfortabel und es funktioniert auch meistens, viel zu oft aber auch nicht. Vielleicht lag es an meiner Frisur oder der Belichtung, als ich den Scan eingerichtet habe, jedenfalls muss ich nicht selten den Scanvorgang wiederholen und den Arm weiter wegbewegen.

Deutlich zuverlässiger erlebe ich den zweiten Biosensor leider auch nicht, der sich beim Mate 20 Pro unter dem Display befindet. Was auf dem exotischen Vivo X20 Plus UD noch ziemlich fern von der Realität schien, ist mit dem Huawei-Flaggschiff salonfähig geworden. Geht in 6 von 10 Fällen.

Huawei Mate 20 Pro Header

Fazit

Im Laufe meiner Zeit mit dem Huawei Mate 20 Pro ist mir klar geworden, dass ich gar kein Problem mit dem Gerät selbst, sondern eher mit Smartphone-Fotografie im Allgemeinen habe. Und das ist eben das, worauf nicht nur die Medien, sondern auch Huawei selbst das Mate 20 Pro reduziert. Nach dem P20 Pro, das im letzten Jahr nicht nur mich mit offenem Mund hat hat sitzen lassen, sind die Erwartungen vielleicht auch ein bisschen übersteigert gewesen.

Ansonsten ist das Huawei Mate 20 Pro ein herausragendes Gerät, das Freude macht, es zu benutzen. Es fühlt sich gut an, es reagiert schnell, man macht gute Fotos in allen möglichen Momenten mit einer der besten Kameras, die man immer in der Hosentasche tragen kann – und an EMUI und seine nicht ganz durchdachten Eigenheiten gewöhnt man sich auch. Ein bisschen hat Huawei noch diesen Asia-Flair, den Samsung mittlerweile abstreifen und sich völlig der westlichen Welt assimilieren konnte.

Für ein Smartphone ist das Huawei Mate 20 Pro: sehr gut.

Fünf Millionen Dank gehen an Huawei für die fantastische Pressearbeit, die genialen Events und das Huawei Mate 20 Pro, das ich auch weiterhin als Gerät im Alltag nutzen werde – bis das nächste kommt. Mindestens genauso laute Lobeshymnen singe ich auf Denny, der ein unendliches Maß an Geduld mit mir hat. Danke, dass ich hier schreiben darf. 

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